Samstag, 5. Dezember 2020

„Hurra“ – Kurzgeschichte von Jürgen Knischewski

Bei der Partnerseite „Autoren Sternzeit“ war einmal mehr der Eddie-Gruselfreitag. Dabei sind viele interessante Geschichten entstanden und eine besonders originelle stelle ich euch hier vor.

Eddie-Gruselfreitag: „Die Rechnung“


Die Aufgabe am 27.11.2020 lautete wie folgt: Das Einkaufszentrum, ein leckeres Eis, ein Café und der Kellner, der dich nett anlächelt. Das Rechnung liegt vor dir auf dem Tisch. Du schaust es an. Etwas stimmt nicht. Aber du bezahlst mit Bares, und möchtest gerne gehen. Der Keiner wartet. Lächelt und bewegt seine Augenbrauen hoch. Du drehst die Rechnung um und siehst eine Nachricht auf deren Rückseite.


Hurra – von Jürgen Knischewski


Das Essen war wirklich lausig. Lausig wie das Wetter da draußen und genauso wässerig. Ich hatte in diesem gottverdammten Nest eine Stunde Aufenthalt, normalerweise gehe ich eine Runde durch den Ort, schaffe es bis zur Halbzeit zum Marktplatz und beschleunige auf dem Rückweg meine Schritte, um auf jeden Fall wieder rechtzeitig auf dem Bahnhof zu sein. Aber heute wäre ich binnen einer Viertelstunde völlig durchgeweicht worden, deshalb war ich froh, dass ich, noch im einfahrenden Zug sitzend, die Gaststätte sah. Irgendwas Neumodisches, so eine Kette, die heutzutage an sämtlichen Orten der Welt gleichzeitig Filialen aufmacht, einen Hype erlebt, dann noch ein paar Jahre vor sich hindümpelt und wieder eingeht. Viel Glas, viel Chrom, wenig Gemütlichkeit. Egal, für eine Stunde war der Laden okay, hatte zumindest ein Dach gegen den Regen. 

Das Restaurant war spärlich besetzt, vier Reisende saßen jeweils allein an einem Tisch. Ich bestellte „die Hausspezialität“ und kriegte einen Fraß vorgesetzt, der seinesgleichen suchte. Erst kam eine Schale, gefüllt mit graugrüner Suppe, gefolgt von einem Teller nudelartiger Teilchen mit undefinierter Soße. Egal, ich hatte Hunger, hoffte, vorweg eine Art Brokkolicremesuppe zu essen und nahm den Hauptgang als vegetarische Nudeln Bolognese. Vielleicht hätte ich das Zeug mit massivem Gewürzeinsatz retten können, aber weil weder Salz noch Pfeffer herumstanden und der Kellner nach dem Absetzen der Speisen verschwunden war, schaufelte ich alles so hinunter. 

Da in einer Viertelstunde mein Zug fuhr, rief ich nach dem Kellner, der auch sofort mit einem Rechnungsblock an den Tisch geeilt kam. Er riss einen Zettel mit Durchschlag ab und reichte ihn mir. Ich zückte meine Brieftasche, aber der Kellner schüttelte den Kopf. Auf der Rechnung stand : „Hurra! Hurra! Wir freuen uns, dass Sie unser kulinarisch hochwertiges Produkt bestellt haben! Wir sind uns sicher, dass Sie viel Freude und Genuß beim Verzehr hatten! Wir möchten Sie als kleines Dankeschön für Ihr Vertrauen einladen. Ihr freundliches KuliLab-Team!“ Der Kellner reichte mir einen Stift und deutete auf eine Reihe Punkte unter den euphorischen Zeilen. Ich krickelte meinen Namen zwischen das „Hurra ! ...“ und das übliche Kleingedruckte. Dann gab mir der Kellner einen Durchschlag und eilte davon. 

Ich stand auf, mein Zug würde in zehn Minuten eintreffen. Das heißt, ich versuchte aufzustehen, aber irgendwie ging es nicht. Ich hatte keine Kraft mehr in den Beinen. Eigentlich hätte ich unruhig sein müssen, aber ich war es durchaus nicht. Vielleicht sollte ich den nächsten Zug nehmen und lieber noch einen Kaffee bestellen. Doch der Kellner kam nicht. Der Mann am Nebentisch war eingeschlafen. Schlafen ist ansteckend. Ich musste nun auch gähnen. Auf dem Tisch lag noch die Rechnung. „Hurra! Hurra!...“. Meine Unterschrift. Das Kleingedruckte. Mehr aus Langeweile und um nicht einzuschlafen, las ich die winzigen Sätze: „Vielen Dank, dass Sie der Firma KuliLab vertrauen. Wir verbannen den Hunger aus der Welt und danken Ihnen aufs herzlichste, dass sie sich als Versuchsperson der Menschheit und KuliLab zur Verfügung stellen!...“ 

Ich blickte auf, hatte im Augenwinkel eine Bewegung wahrgenommen. Zwei Männer in weißen Kitteln packten den Gast am Nebentisch an Schultern und Beinen und trugen ihn zu der Tür, durch die vorhin der Kellner gekommen war. Ich las weiter „ ... für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie auf Grund von Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten aus dem Leben scheiden, vermachen Sie ihre sterbliche Hülle der Wissenschaft.“ Ich hörte den Zug einfahren und schloss die Augen.

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